Indoor Farming – das Gemüse will hoch hinaus
Wie können die Anforderungen an die Nahrungsmittelversorgung in Zukunft erfüllt werden? Und wird all unser Gemüse bald aus Gewächshäusern kommen? Erfolge aus der Testanlage: System für den ganzjährigen und zuverlässigen Anbau von Pflanzen – im Gespräch mit Catrin Soldo, Business Development Managerin der MABEWO AG.
Gemüse, das ohne Sonnenlicht, ohne Abhängigkeit vom Wetter zuverlässig wächst? Ja, das funktioniert. Landwirtschaft, die hundert Mal effektiver Anbauflächen und Wasser nutzt als die herkömmliche Anbaumethoden? Lebensmittel, die ganz ohne Lieferkette direkt am Anbauort vom Konsumenten gekauft werden können? Ja, darauf hat die MABEWO Gruppe eine Antwort gefunden, freut sich Catrin Soldo, Business Development Managerin der MABEWO AG. Aufgrund von drängenden Problemen im Agrarbereich sind Forscher und Entwickler laut dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft schon näher an den Antworten als viele vermuten würden. “Auch wir machen diese Erfahrungen, dass die Gesellschaft heutzutage diese Entwicklung noch als Zukunftsszenario wahrnimmt, das in weiter Ferne liegt. Die MABEWO verwirklicht im November 2021 auf dem Food & Energy Campus in Groß-Gerau eine Anlage als Antwort auf die Herausforderungen. Der Green-Dome als Indoor-Farming-System für die sichere Produktion von Lebensmittel entsteht hier und wird im Ende 2021 eröffnet. Ab Dezember wachsen die ersten Microgreens in zahlreichen grünen und bunten Varianten für die Ernte”, so Catrin Soldo.
Zukunft: Herausforderungen für die Landwirtschaft
Durch die wachsende Weltbevölkerung – Hochrechnungen der Vereinten Nationen ergeben, dass 2050 etwa 9,7 Milliarden Menschen unsere Erde bevölkern werden, das sind knapp 2 Milliarden mehr als aktuell – wächst der Bedarf an Nahrungsmitteln, der gedeckt werden muss. Zudem sollen von den 9,7 Milliarden etwa 6 Milliarden in urbanen Ballungszentren leben. Gleichzeitig werden die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen knapper, einerseits durch Klimawandel bedingte Wetterextreme wie Starkregen und Dürre, andererseits durch Verlust fruchtbarer Böden, bedingt durch Versiegelung, Monokulturen, Überweidung und Einsatz von Chemikalien. Bisher noch nicht für die Landwirtschaft erschlossenes Land zu nutzen, würde die Rodung von Wäldern und Stilllegung von Mooren bedeuten, was für Klima und Umwelt fatale Folgen hätte. Die Herausforderung besteht also darin, bereits genutzte Flächen deutlich effektiver zu nutzen, um den Nahrungsmittelbedarf zu decken. “Auf diese Herausforderungen hat die MABEWO AG Antworten gesucht und die Entwicklung der innovativen Vertical-Indoor-Farming Lösung im Green-Dome zur Marktreife gebracht. In einer Testanlage in der Schweiz hat unser Tochterunternehmen MSP Construction AG ihre Konzeptplanung erstmals umgesetzt, erfolgreich auf den Prüfstand gestellt und die erste Ernte von Microgreens bereits auf dem Küssnachter Samschtig Märt verköstigt und verkauft”, erklärt Catrin Soldo.
Neben der Ernährungssicherung spielt der Einfluss der Agrarwirtschaft auf Klima und Umwelt eine Rolle für die Zukunft. Überdüngung, der Einsatz von Pestiziden und hoher Wasserverbrauch belasten die Natur und müssen optimiert werden. Die MABEWO Anlagen arbeiten mit Hilfe modernster Technologien wie automatisierte Steuerungstechnik für ideale klimatische Bedingungen, die den Einsatz von Gentechnik und Pflanzenschutzmitteln überflüssig machen, fügt Catrin Soldo hinzu.
Das Zauberwort: Vertical Farming
Global diskutiert wird die Idee, die alle diese Probleme angehen soll, das Vertical Farming. “Die Testanlage hat überzeugt, Indoor-Farming-Anlagen mit vertikalem Aufbau stellen einen Lösungsansatz dar”, betont Catrin Soldo. Vertikal bedeutet, dass Obst oder Gemüse übereinander in mehreren Etagen auf wenigen Quadratmetern wachsen. Funktioniert der Anbau zudem ohne Sonnenlicht, sondern mit künstlichem Licht, wird von Indoor Farming gesprochen. Diese Farmen existieren bereits in verschiedenen Ausführungen, wobei sie noch nicht flächendeckend genutzt werden.
Die aktuell größte vertikale Farm der Welt besteht aus einer ehemaligen Stahlfabrik im US-Bundesstaat New Jersey. Diese hat das Unternehmen AeroFarms in ein 6.500-Quadratmeter-Gewächshaus mit zwölf Stockwerken verwandelt, in dem das ganze Jahr hinweg über 900 Tonnen Gemüse geerntet werden. Ermöglicht wird das durch ständige Beleuchtung mit LEDs und Steuerung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Pflanzen statt in Erde auf wiederverwendbaren Netzen aus recyceltem Kunststoff wachsen, die über ein computergesteuertes System mit Wasser und Nährstoffen versorgt werden. Und dieses System hat Erfolg: Bezogen auf die Quadratmeter Grundfläche ist der Ertrag laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft 390-mal höher als im herkömmlichen Feldanbau. Catrin Soldo hierzu: “Das System der MABEWO AG wird nach dem Einbau der Sensorik und Anbindung an die «Cloud» gemeinsam mit den restlichen Containern ab Ende Oktober 2021 am hessischen Standort in Betrieb genommen. Es wird ein starkes Signal für die Innovation der regionalen Lebensmittelversorgung sein und ein Machbarkeits Beweis für die Landwirtschaft 4.0.”
Weitere Formen des vertikalen Anbaus
Auch nach Europa hat es das Vertical Farming bereits geschafft, in Großbritannien steht die europaweit größte Farm mit 17 Etagen, in der Schweiz werden in einer Farm aus 400 Quadratmetern durch das Stapeln auf drei Meter Höhe 1.500 Quadratmeter geschaffen. Das Berliner Unternehmen Infarm hat zwei Meter hohe Vitrinen entwickelt, in denen Gemüse direkt im Supermarkt angebaut werden kann. Auch diese sind mit LEDs ausgestattet und versorgen sich autark mit Wasser und Nährstoffen. Noch kleiner sind sogenannte Plant Cubes, in denen Blattgemüse in der eigenen Küche bei optimaler Beleuchtung und Bewässerung kultiviert werden kann. Durch kleinere vertikale Farmen, für die auch in Ballungsräumen Platz ist, können Emissionen durch geringere Transportwege gespart werden. “Ausruhen wollen wir als MABEWO-Gruppe nicht und arbeiten weiter an der Entwicklung und Optimierung unserer Indoor-Vertical-Farming-Systeme. Der modulare Aufbau des Green-Domes und die Steuerungstechnik erlauben eine flexible Anpassung, sodass schnell auf Markt-Feedback reagiert werden kann. Deshalb rechnen wir damit, dass wir schon nach kurzer Zeit weitere Pflanzen in das Portfolio der Food & Energy Campus Gross-Gerau GmbH aufnehmen können. Selbstverständlich werden auch nach Lieferung und Inbetriebnahme der Anlage in Gross-Gerau sämtliche Erfahrungen und Daten von der MSP CONSTRUCTION AG gesammelt, ausgewertet und im Rahmen der Weiterentwicklung berücksichtigt”, fügt Catrin Soldo hinzu.
Nachteile der Landwirtschaft in Gewächshäusern
Kritisch betrachtet werden die Kosten, die zu den Investitionskosten für Technik und Aufbau hinzukommen. Die Kosten für die Beleuchtung und Wärme erzeugen einen hohen Stromverbrauch, wie auch die Bewässerung Technologien. Dieser ist bei nicht nachhaltiger Erzeugung ein Minus für die Umweltbilanz. “Die Lösung hierzu liefern erneuerbare Energiequellen, wie beispielsweise der Solar-Dome der MABEWO AG, die die Produktionsmodule mit der benötigten Energie durch Photovoltaik versorgen kann und damit die CO2 Bilanz in Balance halten”, fügt Catrin Soldo hinzu.
Festzuhalten ist, dass sich der vertikale Anbau in Europa vor allem für Blattgemüse wie Salat, Kräuter wie Kresse oder Basilikum und Arzneimittelpflanzen lohnen. Aktuell sind viele Konsumenten jedoch noch skeptisch, da die Erfahrungen fehlen. “Die Microgreens aus dem Green-Dome waren auf dem Küssnachter Samschtig Märt (Samstags Markt) ein voller Erfolg. Die jungen essbaren Keimpflanzen weisen einen hohen Nährstoffgehalt auf mit intensivem Geschmack. Die Marktbesucher waren direkt überzeugt und der Stand war den ganzen Tag gut besucht und am Ende ausverkauft”, so Catrin Soldo, die selbst vor Ort war.
V.i.S.d.P.:
Max Bausch
Unternehmensberater & Blogger
Über den Autor:
Die Automatisierung als Tool der Vereinfachung der Arbeit – Die Entwicklung bleibt spannend und herausfordernd. Ohne Automatisierung läuft nichts mehr, weder Industrie, Handwerk noch die Dienstleistung. Die Generationen X, Y und Z sind komplett digitalisiert und Zukunft gestaltet sich neu – Grenzen verschwinden. Maximilian Bausch zählt sich zu den jungen Native Digitals mit der Idee die Automatisierung übergreifend einzusetzen. Er baut auf die Zukunftswerkstatt, um mit Vorurteilen und Ängsten vor Automatisierung abzubauen. Damit den Weg für Wirtschaftlichkeit und Effizienz von Unternehmen positiv zu begleiten, indem Kommunikation und Diskussion aufgegriffen werden.
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